Hier habe ich noch ein Konzert-Review aus dem Jahre 2000 für euch, welcher die Ereignisse des Konzertes der Berliner Band FORMEL 1 am 18.03.2000 im Amorsaal
zu Mülsen St. Niclas schildert. Der Bericht wurde von Roland Ludwig für das CrossOver-Webzine geschrieben:
Wie kann man unterscheiden, ob ein über 25 Jahre alter Metalfan aus den neuen oder den alten Bundesländern kommt? Nichts leichter als das. Man werfe ihm
einfach das Stichwort "FORMEL 1" vor. Beginnt er, ausschweifend über Schummel-Schumi, Briefkasten-Heinzharald und Telekom-Mika zu dozieren, hat man mit
großer Wahrscheinlichkeit einen Wessi vor sich. Tritt hingegen ein Leuchten in seine Augen, das sich bis zu einem richtigen Strahlen ausbreiten kann, und
bekommt man die Frage gestellt, ob man denn damals auch zu den Unglücklichen gehörte, die keine Karte mehr fürs Hennigsdorfer Stahlwerk bekommen haben,
dann handelt es sich in 99 von 100 Fällen um einen Ossi, und der hundertste muß ein Westberliner sein.
Um die jüngeren Leser nicht ganz unwissend sterben zu lassen und den Eingangsabsatz zu erläutern: FORMEL 1 waren eine der ganz wenigen Metalbands, die
zu DDR-Zeiten eine LP herausbringen durften (manche behaupten auch, sie wären überhaupt die einzigen gewesen, aber das hängt von der Definition ab,
ob BABYLON oder PRINZIP unter den Terminus "Heavy Metal" fallen oder nicht). Besagte Scheibe wurde bei einem Gig im Stahlwerk Hennigsdorf mitgeschnitten und anno
1986 unter dem logischen Titel "Live im Stahlwerk" veröffentlicht. Acht Eigenkompositionen und die beiden Covers "Hallowed Be Thy Name" (IRON MAIDEN) und
"Breaking The Law" (JUDAS PRIEST) bildeten eine astreine Melodic Power Metal-Scheibe, die sich keinesfalls vor westlichen Größen verstecken mußte
und, wäre sie damals auch im Westen erschienen, dort durchaus die Chance auf mehr als einen Achtungserfolg gehabt hätte. So blieb sie das Pflichtprogramm
für jeden DDR-Metaller, das man abgöttisch liebte und genauso augapfelös hütete wie die aus den Polen- oder Ungarn-Urläuben eingeschmuggelten
HELLOWEEN- oder KREATOR-LPs. FORMEL 1 selbst lösten sich 1987 auf, und das nicht etwa aufgrund staatlichen Drucks, sondern wegen bandinterner Differenzen über
den musikalisch einzuschlagenden Weg, wobei indes beide Nachfolgeprojekte nicht so richtig in die Gänge kamen. Beim "Hard And Heavy-Festival" anno 1987 im
Ost-Berliner Jugendclub Langhansstraße gaben FORMEL 1 ihr letztes Konzert.
Nun sind sie also wieder da, und da ich mit meinen 10 Jahren in Hennigsdorf natürlich nicht dabei gewesen war, nahm ich die Gelegenheit, die re-unierte Band im
Mülsen St. Niclaser Amorsaal (kultiger Name, aber das ist nicht etwa ein Teilzeit-Freudenhaus, wie man vermuten könnte, sondern 'ne stinknormale Dorfkneipe)
unter die Lupe zu nehmen, gerne wahr. Die 20:30 Uhr-Information, die ich einem lokalen Veranstaltungsmagazin entnommen hatte, bezeichnete den Einlaßbeginn,
so daß ich mich noch bis 22.50 Uhr gemütlich hinsetzen und den geschmackvoll ausgewählten Konservenklängen von LOVERBOY, BBM, ZZ TOP, BILLY IDOL,
UFO oder BLACK SABBATH lauschen durfte. FORMEL 1 spielten schließlich zwei von einer weiteren Konserven-Halbstunde unterbrochene, jeweils 40-minütige Sets.
Erste Aufgabe war festzustellen, wer denn von der alten Besetzung noch dabei ist. Sänger Norbert Schmidt und Bassist Detlef Dudziak waren eindeutig zu
identifizieren, der Herr hinter den Drums entzog sich erfolgreich meinen Blicken, der eine Gitarrist könnte durchaus Wolfgang "Wolly" Densky gewesen sein,
während der andere nicht allzuviel Ähnlichkeit mit Reinhold "Chris" Heß hatte (aber lustigerweise Jon "Iced Earth" Schaffer etwas ähnelte).
Sei's drum, das Quintett spielte erwartungsgemäß die Songs von "Live im Stahlwerk" rauf und runter und garnierte das Ganze mit diversen traditions-
metallischen Covers, die streckenweise recht eigenwillig umgesetzt waren (so bekam BLACK SABBATH's "Heaven & Hell" ein neues Intro verpaßt, dafür
wurde der schnelle Schlußteil gestrichen). Viel geändert hat sich bei FORMEL 1 erwartungsgemäß nicht: Die Songs sind und bleiben hervorragende,
streckenweise angehymnete und in deutscher Sprache (seinerzeit metallische Pflicht in der DDR, wenn man offiziell auftreten wollte) vokalisierte Melodic Power
Metal-Kompositionen, Sänger Norbert ist nach wie vor kein Meister im Melodiehalten, bringt aber jede Menge Energie rüber, die Gitarrenfraktion sprühte
nur so vor Spielfreude, der Baß bahnte sich seinen Weg, wo es angebracht war, und der Drummer hatte zwar zwei, drei kleine Aussetzer, legte aber ansonsten ein
solides Fundament und brachte auch ein kurzes, aber prägnantes Solo zustande. Im zweiten Set gruben FORMEL 1 auch noch diverse Tracks aus, die seinerzeit
nicht auf der "Live im Stahlwerk"-LP verewigt wurden (die Single "Mach keine Wellen" kenne ich leider nur vom Hören-Sagen) und von denen ich nicht sagen
kann, ob sie auch noch aus den Mittachtzigern stammten oder aber neu geschrieben sind. Ausnahme: "Eddie" - diese Uraltkomposition bildete gewissermaßen
den Gegenpol zu frühen westlichen Melodic-Speedlern wie HELLOWEEN, gegen die sie in keinster Weise abfällt. Songs wie "Der Edelrocker", "Der Weg nach oben"
oder die Halbballade "Wär mein Leben programmierbar" wurden jedenfalls auch an diesem Abend dankbar vom Publikum im Amorsaal aufgesogen - leider aber nicht vom
kompletten Publikum, sondern nur von der Handvoll Alt-Fans, die sich in kürzerer Entfernung von der Bühne vor Rührung feuchte Augen holte (und es war
wirklich nur 'ne Handvoll). Der über hundertköpfige Rest schimmelte irgendwo an den Bars ab und ignorierte die sich den Hintern abspielende Band teilweise
bis völlig, was somit in umgekehrt proportionaler Relation zur gebotenen musikalischen Leistung stand. Zugaben gab's demzufolge leider auch keine, und so blieben
"Der Fußballfan" und "Breaking The Law" unerklungen. Ich wünsche FORMEL 1 die Fähigkeit, Auftritte vor solch einer Kulisse schnellstmöglich
vergessen zu können und fürs nächste Mal ein dankbareres Publikum, das Qualitätsarbeit zu schätzen weiß.
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