Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (2)

"Im Krieg mit Satan" - Zeitschrift "Melodie & Rhythmus" (1985)

Als sich im vergangenen Jahr die Schweizer Handelsfirma DISCTRADE die Vertriebsrechte der Heavy-Metal-Label ROADRUNNER RECORDS (Holland), WOISE (BRD) und MAUSOLEUM (Belgien) fr ihr Land sicherte, hatte sie mit diesen Neuerwerbungen schließlich fast alle unabhängigen HM-Label aus dem Ausland im Vertrieb. Schon seit längerer Zeit vertrat sie den entsprechenden britischen NEAT-Katalog und startete noch im Monat dieser Neuerwerbungen eine Heavy-Metal-Aktion mit Verkaufs-Stimuli wie Spezialkatalog, Postern u.ä. Werbematerial für Platteneinzelhändler. Schwerpunkt dieser Aktion wurde die Schweizer HM-Band Venom, die zu diesem Zeitpunkt in Westeuropa tourte und deren dritte LP gerade veröffentlicht wurde. Diese LP trug einen jener typisch verschärften Heavy-Metal-Titel: "At War With Satan" Im Krieg mit Satan.
Im Krieg mit der Konkurrenz, dem Markt um den nicht nur überlebenswichtigen Profit befinden die Firmen sich seit den weltweit rückläufigen Schallplatten-Verkaufszahlen allemal, und so ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn sie sich jede Chance auch mit den ansonsten von den Medien, besonders den Fernsehanstalten, nicht gerade geliebten, bzw. sogar weithin boykottierten, weil allzu grobsinnlichen und der biederen Fernseh-Bürgerlichkeit nicht zuzumutenden Rock-Genre zu sichern versuchen. Bedenkt man, daß die junge und vorzügliche HM-Band Def Leppard von nur einer ihrer neueren LP sieben Millionen Exemplare verkaufen konnte, daß von einer neueren LP der BRD-Gruppe Scorpions in den USA 600 000 Exemplare vorbestellt waren, so daß sie noch vor ihrem Erscheinen vergoldet war, bedenkt man, da�ein Heavy-Metal-Festival mit Mötley Crüe, Accept, Gary Moore, Van Halen, Ozzy Osbourne, AC/DC und Ronnie James Dio im Spätsommer vergangenen Jahres in Stadien von Karlsruhe und Nürnberg immerhin je 40 000, wenn auch halb aus Westeuropa angereisten Fans besucht wurde, wird klar, daß nicht allzuviel Phantasie zu der Überlegung gehört, daß man mit Schwermetallrock schwer Geld verdienen kann. Dies jedenfalls erklärt vieles.
Etwa, daß selbstverständlich jede HM-Band auf ihrem Werbematerial und in der "Bravo" die echteste, schnellste, höllischste, d.h. überhaupt der größte Schocker ist, so daß im Grunde die ganze HM-Szene aus lauter weltbesten, aus lauter "heaviest" HM-Bands zu bestehen scheint. (Wer die Szene kennt, weiß, wie enorm groß die Niveau-Unterschiede sind). Das erklärt auch den Boom einer Fülle neuer HM-Bands aus den USA, besonders aus Los Angeles und New York, man denke nur an Ratt, Twisted Sister, W.A.S.P., Bon Jovi, Mötley Crüe, Night Ranger, Great White u.a. Und in der Tat weisen viele der nordamerikanischen HM-Bands mehr oder minder "lustige" Besonderheiten auf.

"Mit Haken, Kreissäge und Gummiwärmflasche" - "Melodie & Rhythmus" (1985)

Schon Anfang der siebzlger Jahre, unmittelbar nach einer irrwitzigen USA-Tour von Black Sabbath hatte der satanisch schwerfällige Ozzy Osbourne, der sich übrigens in letzter Zeit immer mal ein Paar synthetische Reißzähne zu seinem ansonsten noch ganz pessablen Gebiß wachsen läßt, erklärt: "America ist das satanischste Land der Welt. Für Dollars machen die Yankees a11es." Diverse Horror-Aktionen voller "Geschmack und Dezenz" etwa von Alice Cooper und Kiss, von der Bühne mit Erfolg abgezielt auf die Taschengelder des jungen Comic-Publikums können heute praktisch schon wieder als Vorläufer für eine Reihe neuer Kuriositäten gelten, Kuriositäten, die faktisch aus dem Konkurrenzkampf, aus dem immergleichen Zwang zu immer neuen Sensationen erwachsen und bei denen besonders in den USA Geschmack, Niveau und Glaubwürdigkeit öfter einmal auf der Strecke bleiben. So war es beispielsweise noch einigermaßen amüsant, als der Bassist und Bandgründer von W.A.S.P. mit dem gesetzlosen Künstlernamen Blackie Lawless neben dem üblichen Schwarzleder und den schweren Ketten mit einer 40 Pfund schweren Rüstung auf die Bühne tapste. Auch die halbierten Blätter einer Kreissäge, die ihm aus Unter- und Oberarmen "wachsen", machen noch relativ Eindruck, die mit künstlichem Blut bespritzten Hände aber waren bereits heikler, und als die Band offenbar aus lauter Übermut - nicht mehr nur mit künstlichem Blut, sondern gar mit rohem Fleisch auf der Bühne zu hantieren begann, war das sogar den schwersten Heavy-Metal-Fans zuviel & stieß auf völlige Ablehnung, wird seit zwei Jahren darum von der Band unterlassen, hinderte W.A.S.P. aber nicht daran, ihre erste LP nach ihrer damaligen Übernahme durch den Iron Maiden-Manager Rod Smallwood mit dem zart-poetischen Namen "Winged Assassins" ("Gefügelte Meuchelmörder") auszustatten. Nun gut. Altgermanische Barbaren hat sich offenbar die Gruppe Thor (Thor = germ. Donnergott) zum Vorbild genommen. Der gleichnamige, kanadische Bandchef, durch langjähriges Bodybuilding zum Muskelprotz avanciert (auch als "Mr. Canada" und "Mr. Teenage USA" ausgezeichnet), verbiegt in der Thor-Show "Stahlbarren" mit den Zähnen, bläst aus lauter Langeweile Gummiwärmflaschen auf, bis sie "explodieren" und schwingt mit ohrenbetäubendem Geschrei seinen Hammer, bzw. sein garantiert echt germanisches Schwert. Toll. Innerhalb der präzise einstudierten Show der in der letzten Zelt sehr erfolgreichen HM-Band Accept gibt es gleichfalls eine "Einlage", die nicht unbedingt auf übersteigerte Freundlichkeit schließen läßt: Bandchef Udo Dirkschneider ("de Twerg" - der Zwerg) "schlägt" mit zwei, drei schnellen Haken den um einen Kopf größeren Gitarristen Wolf Hoffmann "nieder", wonach er zu allem Überfluß noch mit Triumphgesten auf ihm "herumtrampelt". Soll alles ganz echt aussehen. Es fragt sich nur, wie wohl dem Publikum dabei ist. Um aber Mißverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich hier um Show-Extreme des Heavy-Metal-Genres, die - wie im Gruselfilm - vom Publikum im Gros durchaus als das verstanden werden, was sie sind: gewollt makabre Showeffekte. "Die Monster tanzen bei uns, weil ein bißchen Schock und Horror einfach zum Heavy-Rock gehört", erklärte jovial Bruce Dickinson von Iron Maiden, und nichts ist typischer für die wirkliche Ernsthaftigkeit der Situation als das kaum verdrückte Amüsement, das nur mit äußerster Mühe verbissene Lachen des Sängers und eines wuchtigen Roadies der hervorragenden australischen HM-Band Rose Tattoo, als dieser während des Songs "Suicide City" vor einem völlig erstarrten, konsternierten Popper-Publikum (die Fernsehanstalt hatte irrtümlich ein völlig falsches Publikum gewählt) versuchte, mit einem Mikrofonkabel jenen zu "erwürgen". Tatsache ist allenfalls, daß in diesem Sinne der HM-Rock - ähnlich wie beim Punk - auch die für die Rockmusik schon traditionelle Bürgerschreck-Funktion ausübt.

Geisterbahn und Schwachsinn

Ein weiteres Phänomen ist der Okkultismus vieler HM-Bands, über dessen gesellschaftliche Ursachen es wie bei King Kong oder Frankenstein viel zu sagen gäbe. Dieser jedenfalls hat in der letzten Zelt beispielsweise Iron Maiden - immer auf der Suche nach neuen Ideen - zu einem kostspieligen Pharaonen-Epos veranlaßt. Angeregt zur neuen "Powerslave"-LP wurde die Gruppe durch den zweifellos barbarischen Umstand, daß - wie nicht selten in alten Kulturen - beim Tod eines Herrschers sein ganzer Hofstaat ins Grab folgen mußte. Aber nicht jede Gruppe orientiert sich an historischem Material, sondern trägt, wie Ronnie James Dio (ehem. Black Sabbath und Rainbow), schwer zur Verdummung bei: "Es stimmt, ich habe mich jahrelang mit Magie beschäftigt, allerdings mit weißer, nicht mit Schwarzer. Ich kann aber nur jedem raten, die Finger davon zu lassen (!). Man braucht eine verdammt starke Persönlichkeit, um nicht in wirklich schwierige Situationen zu kommen (!!). Selbst, wenn man in bester Absicht nur weiße Magie praktiziert und niemandem schaden will. Man kann versehentlich Türen öffnen, die besser geschlossen bleiben (!!!). Und plötzlich wird man Opfer von Mächten, die man selbst gerufen hat. Magie kann einen Menschen ganz schnell um den Verstand bringen." Na, denn Kollegen! Das scheint bei Dio aber dann wirklich der Fall zu sein. Mir jedenfalls ist da als alter HM-Freund ein Spruch sympathischer, der zwar auch nicht gerade von Intelligenz strotzt, der aber wenigstens der urwüchsigen Wahrheit, der industriellen Kraft und Aufruhr im Heavy Metal die Treue hält. Er entstammt dem Werbematerial der HM-Band Manowar und geht so: "Jede Note, die ich spiele, soll ein kleiner schwarzer Todespfeil sein, der die Verräter des Heavy Metal trifft." Basta.
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