Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (5)

"Heavy Metal national" - Zeitschrift "Profil - Methodik zur Tanzmusik" (1987)

Heavy Metal scheint derzeit die Zauberformel in der popularen Musik unseres Landes zu sein - die einen sind heavy, die anderen halten sich Augen und Ohren zu. Wie lange sich diese explosive, laute Musik mit ihrer metallbehangenen Ledermode halten wird, steht noch in den Sternen. Der Aufwind der HeavY-Bands vor allem aus dem Amateursektor gab PROFIL ein Achtungszeichen, das Schwermetall etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Zu diesem Zweck trafen wir uns mit Dr. Lothar Dungs, dem Vorsitzenden der ZAG Tanzmusik.

PROFIL: Seit der 8. FDJ-Werkstattwoche der Jugendtanzmusik im Oktober 1986 ist ein wahrer Heavy Metal-Boom in unserer Amateurtanzmusik zu verzeichnen. Zufall?
L.D.: Ich glaube schon, daß die sehr auffällige Präsenz der Heavy Metal-Bands in Suhl vor anderthalb Jahren mehr oder weniger zufällig er zufällig war. Um keine falschen Rückschlüsse zu ziehen: Wir haben weder im Vorfeld der Werkstattwoche, noch in der organisatorischen Durchführung oder gar im Nachfeld eine Heavy Metal-Kampagne gestartet. Die Wirksamkeit dieser Musik und die Tatsache, daß sie so stark an die Oberfläche kam, muß meines Erachtens aus ihrem speziellen sozialen Umfeld erklärt werden. Heavy Metal wirkt aktivierend, ist auch geeignet, Frust abzuschütteln und mal richtig abzutanzen im Unterschied zu manchen "ruhigeren" Formen.
Die Redakteure unseres Jugendradios begründen den zunehmenden Einsatz von Heavy Metal in ihren Sendungen mit den relativ zahlreichen Wünschen aus ihrer Zuhörerschaft. Ich meine, es sollte bei dieser Verfahrensweise nicht unbeachtet bleiben, daß Heavy Metal-Fans die aktive Beziehung zu ihrer Musik eben artikulieren, indem sie schreiben oder anrufen und das im Gegensatz zu der oftmals schweigenden Mehrheit der Hörer, die Ruhigeres bevorzugt. Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß auch die zunehmende Rundfunk-Präsenz von Heavy Metal-Rock nicht unbedingt mit "Zeitgeist" zu tun hat. Zweifelsfrei nimmt der Heavy Metal eine abgrenzbare Position innerhalb des Angebotes an populärer Musik ein, die vielleicht etwas breiter in der Wirksamkeit als eine Stilistik wie New Jazz oder Soul ist.
Um nochmals auf die 8. Werkstattwoche zurückzukommen: Die Amateurszene war wohl reif für den Heavy Metal in der DDR, und einige Bands wie PLATTFORM, FEUERSTEIN, HARDHOLZ und CRYSTAL hatten sich inzwischen so profiliert, daß sie mit relativ hohem Niveau überzeugen konnten. Natürlich programmierten sie damit eine gewisse Medienpräsenz. Doch ich meine, wir sollten die Wirkung des Heavy Metal, auch wenn sie derzeit enorm ist, nicht überbewerten. Auf jeden Fall ist er nur ein Teil der großen Offerte an populären Musikstilistiken.

PROFIL: Der Heavy Metal scheint dem Amateurstatus besonders wohlgesinnt zu sein. Ich denke an die geringeren Ausgaben fürs Equipment, da bei dieser gitarrenorientierten Musik die Keyboards entfallen können.
L.D.: Ein sehr wichtiger Aspekt. Er hängt zusammen mit dem Gestus, der von Heavy-Musik erwartet wird und den diese Musik sozusagen zelebriert. Daß sich ihr viele junge Gruppen zuwenden, beruht teilweise auf einem Irrtum. Selbstverständlich muß Heavy Metal aggressiv, laut sein, also metern sonst ist es keiner. Bei der musikalischen Umsetzung sind jedoch zwei Dinge zu beachten:
Einerseits steckt in den musikalischen Strukturen wenig Neues. Sie sind einfach, überschaubar und durchaus vergleichbar mit denen aus der Folklore oder der Schlagerstilistik. Mancher Heavy Metal-Purist wäre sicher verblüfft, würde er einen Heavy- und einen Schlagertitel hinsichtlich seines harmonischen und melodischen Aufbaus untersuchen und viele Gemeinsamkeiten feststellen. Aber und da sind wir beim zweiten Punkt: Heavy Metal-Musik beginnt erst zu leben, wenn sie hundertprozentig exakt, also mit artistischer Perfektion gespielt wird auch und gerade in den Speed Metal-Nummern! Viele junge Nachwuchsmusiker, die sich am Heavy Metal versuchen, kaschieren durch ein phantastisches Outfit und extreme Lautstärke musikalisch-handwerkliche Schlamperei. Und dann passiert das Unvermeidliche - die ganze Sache kippt um ins Lächerliche und wird leider unglaubhaft.
Deshalb mein Appell an alle HM-Musikanten: Heavy Metal ist etwas Großartiges, denn er kann Power und Vitalität ausstrahlen und unheimlich Spaß machen. Aber er will beherrscht sein, verlangt Exaktheit und Härte zu sich selbst in seiner stilistischen Erarbeitung. Hier gilt die alte Regel: Spielt alles in der Probe mit halbem Tempo oder hört mal mit halber Bandgeschwindigkeit in Eure Livemitschnitte rein. Wenn da alles stimmt, könnt Ihr Euch eigentlich erst unter die Leute wagen.

PROFIL: Welche Themen greifen die Heavy-Bands aus Deiner Sicht hierzulande besonders häufig auf?
L.D.: Ich habe bei den HeavY-Gruppen, die gegenwärtig besonders im Gespräch sind, aber auch bei meinen Reisen durch die Bezirke eine Beobachtung machen können, die Textgehalte betreffend. In der Regel reflektieren die Bands ihren Musikeralltag sowie die einzigartige Wirkung von Heavy Metal. Ich nenne nur die "Heavy Braut" von Plattform. Das ist eine interessante, nachdenkenswerte Erscheinung. Wie kaum Vertreter anderer Stilistiken beschreiben die Heavy Metal-Leute ihre eigene Musik, ihr eigenes Umfeld, ihre eigene Szene.

PROFIL: ... und das hat sich auf die Rezipienten des Heavy Metal übertragen.
L.D.: Die Fans finden ein ungeheures Identifikationspotential vor. Sie bekommen permanent das geboten, was sie erwarten, und sie werden durch das Vorbild sehr aktiviert. Bestimmte Klischees scheinen mir dennoch bei einigen Heavy-Bands zu oft bemüht. Es wäre gut, würden in der Metal-Stilistik bestimmte Probleme deutlicher angesprochen. Ich verweise auf "No Bomb" von Berluc einen Titel, den man nur bedingt dem Heavy Metal, besser dem Hard Rock zurechnen sollte. Dieser erfolgreiche Song der Aktion "Rock für den Frieden" hat gezeigt, daß harte Töne politisches Engagement keinesfalls ausschließen. Durch die bessere Artikulation von Nachempfindbarem, selbst Erlebtem bis hin zu großen Themen könnten die Texte in der Amateurtanzmusik und keinesfalls nur die des Heavy Metal noch entschieden mehr bereichert werden.

PROFIL: Du hast es schon angedeutet. Zum Heavy Metal gehört seine spezifische Show...
L.D.: Die Show ist mit den gleichen Parametern wie die musikalische Darbietung zu messen. Es ist zu beobachten, daß bei den Heavy Metal-Bands das Outfit, also das, was wir als optische Präsentation des Musikalischen bezeichnen könnten, verglichen mit anderen popmusikalischen Bereichen am höchsten entwickelt ist. Der Grund ist wahrscheinlich in der relativen Einfachheit und Überschaubarkeit des Gestus zu suchen.

PROFIL: Heavy-Bands und ihre Fans stehen sehr oft - nicht immer berechtigt im Feuer der Kritik der Öffentlichkeit. Mancher Veranstalter weigert sich sogar, Gruppen dieser Stilistik zu engagieren...
L.D.: Heavy Metal-Musik besitzt eine Ventilfunktion, die vielleicht vergleichbar mit der des Fußballs ist. Auf Fußballplätzen geht es keinesfalls sanfter zu... Heavy Metal hat mit seiner vitalen, aktivierenden Ausstrahlung selbstverständlich einen berechtigten Platz in der sozialistischen Musikkultur. Heavy Metal ist prädisponiert dafür, über die Stränge zu schlagen. Wenn wir seine Funktion ehrlich und real beurteilen wollen, kommen wir nicht umhin, die internationalen Tendenzen seiner Entwicklung differenziert zu betrachten. Es ist in jedem Fall zu fragen, inwieweit ein Beitrag aus der HM-Musik den Normen menschlichen Zusammenlebens entspricht und menschliches Empfinden achtet. Verweisen möchte ich auch auf den Beitrag von Lutz Schramm in diesem Heft, der einen Versuch unternimmt, die weitgefächerte Heavy Metal-Szene aus unserer Sicht zu analysieren und Ansatzpunkte für die Bewertungen unterschiedlicher Haltungen, die wir in dieser Stilistik vorfinden, herauszuarbeiten.
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