Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (6)

"Behind The Iron Curtain - Heavy Metal im Ostblock" - Fanzine "Iron Pages" (1988)

Ich finde es ist schon lange überfällig, daß sich jemand an dieses Thema herantraut. Warum haben wir in letzter Zeit keine guten Berichte über HM in den Ostblockstaaten zu Gesicht bekommen? War es Desinteresse oder nur fehlende Information? Geographisch liegen uns Ungarn, Polen, die Tschecheslowakei oder die DDR jedenfalls näher, als die USA. Leider trennen uns jedoch zwei verschiedene Weltanschauungen und deren Ideologien. Nichts desto Trotz haben wir uns entschieden, das Schweigen zu brechen. Wir haben weder Kosten noch Mühe gescheut, um Euch aus erster Hand zu informieren. Den Anfang macht ein Bericht über die HM Szene in unserem Nachbarstaat, der DDR. Glücklicherweise erreichte uns das Material in unzensierter Form, so daß wir nur kleine Platz-bedingte Streichungen vornehmen mußten. Ansonsten ist der folgende Text als Originalquelle anzusehen. Verfaßt wurde der Bericht von Thomas W., seines Zeichens Mitglied eines HM-FC's in Magdeburg. Genug der Vorrede, lassen wir lieber jemanden berichten, der besser als wir weiß, worum es geht. Ring frei zur ersten Runde:
"Natürlich kann man die HM-Szene in der DDR nicht mit der anderer Länder vergleichen, selbst ein Vergleich mit den sozialistischen Ländern erscheint sinnlos, da über das oberflächliche und die allgemeine Meinung hinaus viele DDR-spezifische Komponenten den Ausschlag geben. Um es aber ganz konkret zu sagen, der HM und dessen Fans sind hier ebensowenig gern gesehen wie in der Bundesrepublik und anderen Ländern auch. Innerhalb der RGW-Länder nimmt wohl Ungarn, von vielen als 'Westen im Osten' bezeichnet, heavymäßig unbestritten eine Sonderstellung ein. Von den Bands, die sich dort schon die Klinke in die Hand gegeben haben, kann unsereins nur träumen, diese einmal live zu erleben. In Ungarn wird der HM gewissermaßen vermarktet. Deshalb planen viele Fans ihren Urlaub dort. Es gibt alles, was das Metalherz begehrt. In der DDR wird zunehmend versucht, den HM systematisch kleinzukriegen. Um so erstaunlicher ist es, daß in den letzten 2 Jahren im Rundfunk immer mehr und intensiver auf das Thera HM eingegangen wurde. Vielleicht zeichnet sich nun doch eine Wachablösung ab. Aber das liegt wohl zum größten Teil an den Fans selbst, die immer zahlreicher werden und denen das bisher Gebotene nicht ausreicht. So werden heutzutage Bands (und deren Anhängerschar) wie Motörhead, Iron Maiden, Judas Priest, Saxon, AC/DC, Scorpions oder Def Leppard nur noch mitleidig belächelt, da das Gros jetzt überschwenglich solche Acts wie Kreator, Destruction, Exodus, Slayer, Living Death oder Onslaught feiert. Die Wende ist damit wohl vollzogen, anders ist es wohl auch nicht zu erklären, daß im Rundfunk immer häufiger und fast ausschließlich solche Bands zu hören sind. Der Trend geht einwandfrei zum Speed/Thrash. Leider sind hier Auftrittsmöglichkeiten für Bands sehr schwere. Thrash ist nur bei Amateurbands angesagt, die noch keinen Vertrag haben, von denen es hier jede Menge gibt. Beispiele dafür sind 'Hard-Z-Rock' aus Magdeburg oder 'Blackout' aus Berlin. Dazu gesellen sich noch etliche, die durchwachsenen, sauberen HM bringen wie z.B. 'Biest' aus Leipzig oder 'Monte Christo' aus Magdeburg. Die Bands haben zwar ein ansehnliches Repertoire vorzuweisen, stehen aber ziemlich allein in der DDR-Metal-Welt da. Konkurrenten, die bereits einen Vertrag bei der staatl. Plattenfirma 'Amiga' haben, sind vor allem 'Formel I' (Berlin), die wohl derzeit bekannteste HM Band der DDR (bei weitem nicht die Beste!) und 'MCB' (Magdeburg) sowie eine Band namens 'Babylon' (Berlin), die Ihren Stil zwar HM nennen, aber deren Musik doch eher im Hardrock-Bereich anzusiedeln wäre. lm Gegensatz zur Musik von Babylon muß man die musikalische Qualität von Formel I direkt Positiv herausheben. Nur werden die Texte im Berliner Dialekt dargeboten. Vielleicht auch ein Grund dafür, daß die Band sich viele Sympathien verspielt hat, aber maßgebend war wohl der Titel 'Der Fußballfan', eine Hymne auf den BFC aus Ostberlin, wozu zu sagen ist, das viele HM-Fans auch Fußballfans sind und geschlossen zusammenhalten, wenn es gegen eben jenen BFC geht. Dieser Titel ist bitter aufgestoßen und hat dazu geführt, daß viele HM-Fans von der Band etwas Abstand genommen haben. (Mittlerweile ist ja hinreichend bekannt, daß FORMEL 1 "blau-weiß" nicht singen durften - der Webmaster) Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß auf der Debütscheibe von Formel 1 'Live im Stahlwerk' (das Live sollte man nicht zu ernst nehmen!) Coverversionen von Iron Maiden ("Hallowed be thy Name") und Judas Priest ("Breaking the Law") enthalten sind. Nicht zuletzt hier wird das Niveau der Band deutlich (achtet besonders auf das verkorkste Gitarrensolo bei "Breaking the Law". Der Badewannengesang tut ein übriges. Dennoch war die Metalschar erleichtert, als es die Scheibe im Handel gab, weil bis dato nichts dergleichen im Handel war. In dieser Beziehung sind wir wohl eines der unterentwickeltsten Länder. So ist es nicht verwunderlich, wenn hier LP's unter der Hand überteuert angeboten und auch gekauft werden. Die Preise für eine gute Scheibe reichen von 120,- M bis 180,- M. Für Euch in der Bundesrepublik sicher kaum vorstellbar. Finder hier Konzerte statt, versuchen die (Amateur-) Bands sie meist in die Provinz zu verlegen, da dort das Polizeiaufgebot nicht so groß ist und selten Kontrollen staatlicherseits durchgeführt werden. D. h. im Klartext, daß Bands Auflagen erhalten, was sie zu spielen haben. Z.B. 60% eigene Titel und nur 4O% englischsprachige, die aber keine Verherrlichurg von Gewalt zum Inhalt haben dürfen. In den Großstädten gibt es bei solcher Anlässen immer Ärger, da dort Panik und Ausschreiturgen befürchtet werden. Dementsprechend ist dann auch immer was los, weil die Polizei oft ohne Grund zuschlägt und selbst die Unruhestifter sind. Richtig Bangen ist bei Konzerten in HM-Zentren wie Berlin, Leipzig oder Magdeburg nicht drin, wie ein Beispiel aus letztgenannter Stadt zeigt. Bei einem Konzert von MCB tauchten plötzlich Polizeieinheiten auf (bis dahin verlief alles friedlich!) und schlugen auf etwa 200 Fans ein, als diese sich weigerten, Pyramidengürtel und Armbänder abzuliefern. Sogar Lederjacken wurden beschlagnahmt mit der Begründung, das sei ein Schlagmittel. Hinterher bekamen viele Banger noch ein Verfahren an den Hals wegen 'Widerstand gegen die Staatsgewalt', 'Ruhestörung' oder 'illegaler Zusammerrottung'.
Noch einmal zurück zum Rundfunk. Hier bestimmt die Pop-Musik das Geschehen, obwohl es hier einige Sendungen gibt, in denen HM gespielt wird. Z.B. "Hallo - das Jugendjournal" (Samstag von 15.00-16.00 Uhr), "die Beatkiste" (Do., 19.12 Uhr), "Vom Band fürs Band" (Samstag, 19.07 zum mitschneiden, allerdirgs in unregelmäßigen Abständen), alle drei Sendurgen von Stimme der DDR. Ab und an, aber ebenfalls unregelmäßig gibt es Sonntags vom Berliner Rundfunk (neben NDR 2) ab 22.00 Uhr "Trend ad Libitum", wo des öfteren längere HM-Stücke gespielt werden. Diese Serdung ist für Speed/Thrash-Fans jedoch nicht empfehlenswert. Wie Ihr seht, ist in der DDR-HM-Szene nicht allzuviel los. Konzerte von Bands wie Helloween, Running Wild etc. werden wir hier wohl in Zukurft nicht erleben, obwohl jeder dafür tief in die Tasche greifen würde, auch wenn der Durchschrittsverdienst hier bei nur etwa 850,- Mark liegt. Konzerte von Amateurbands kosten hier 5,- M bis 10,- M. Vielleicht noch ein Blick auf die Bands, die hier zur Zeit am besten laufen: Metallica, Kreator, Necronomicon, Cryptic Slaughter, Onslaught, Living Death, Slayer, Helloween, Running Wild und Destruction. Im Moment blicken wir hier noch zu den deutschen HM-Freaks in der Bundesrepublik auf, aber spätestens an dem Tag, an dem sich Honnecker eine Scheibe von Slayer reinzieht... Okay,Leute, Ihr wißt schon, wie's gemeint ist, Ich schicke also stellvertretend für alle "Zoni's", die sich dem HM verschrieben haben, metallische, stahlharte Grüße an die deutschen Headbanger in der Bundesrepublik."
Hier noch einige Erklärungen von im Text gebrauchter Abkürzungen: RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe oder auch COMECON. Zwischenstaatliche Organisation zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der sozialistischer Staaten. 1949 in Moskau gegründet mit den ständigen Mitgliedern: UDSSR, DDR, Rumänien, Polen, Bulgarien, CSSR, Ungarn, Mongolische Volksrepublik. BFC = Der BFC Dynamo Ost-Berlin ist ein Fußballklub, der sich vorwiegend aus Soldaten und Funktionären der NVA (nationale Volksarmee) zusammensetzt. Deswegen wird er vor der Bevölkerung nicht sehr geschätzt. Zwischen der Fans von Union Ost Berlin und dem BFC herrscht eine bittere Rivalität. (Bearbeitung: Matthias Mader)
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