Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (7)

"Broiler und Trabant - Hard and Heavy Festival Ost-Berlin" - "Iron Pages" (1988)

Intershop, Stasi, Vopo, Mauer und Sozialismus, vielleicht noch die Puhdys und Karat - das sind die Dinge die manch einem spontan zur DDR einfallen. Aber Heavy Metal, Marschall-Türme, Flying V's und Paiste-Drums wollen so gar nicht ins Bild unseres östlichen Nachbarstaats passen. Ein HM Festival mit 10 Gruppen an zwei Tagen in einem Jugendclub in Ost-Berlin (in der Langhansstraße - der Webmaster) - da wird der eine oder andere ungläubig schauen. Es wird langsam Zeit, daß weitverbreitete Vorurteile abgebaut werden! Daß es in der DDR gute HM Bands gibt, weiß man spätestens seit der Einführung der Hard and Heavy Stunde im Jugendradio DT 64 (Jetzt übrigens samstags von 16.00-17.00 Uhr). Die Zeiten, in denen man die DDR-Rock-Szene belächelte, dürften auch vorüber sein. Nicht erst seit Gorbatschows Perestroika-Konzept hat man in unserem Bruderstaat verstanden, daß Rock-Musik auch ein integratives Phänomen im real-existierenden-Sozialismus ist, welches nicht unterdrückt werden kann, sondern eher kanalisiert werden muß. Die Berührungsängste scheinen einer großzügigen Taleranzpolitik gewichen zu sein.
Dennoch überkam uns natürlich eine gewisse Unsicherheit, als wir zuerst die Grenze passierten (übrigens ohne irgendwelche Probleme) und uns den Weg zum Veranstaltungsort bahnten. Wie würde das Publikum reagieren? Wie sieht die Halle aus? Wie würde die staatliche Präsenz nach den Vorfällen in der Ost-Berliner Zionskirche und der Ausreise des Liedermachers Krawschyk aussehen? Fragen, die sich allesamt von alleine beantworten sollten. Gleich nachdem wir die ca. 1000-1300 Zuschauer fassende Halle erreicht hatten, gab uns der Sänger der Gruppe Formel Eins unsere bestellten Karten. Sofort gab es weitere Kartennachfragen an ihn, da einige Fans ohne Eintrittsbillet gekommen waren. Das Festival war also ausverkauft, was uns erstaunte, da der Veranstaltungsort allenfalls halbvoll war. Vielleicht hatte man die Zuschauerzahl willentlich so klein gehalten, um tumultartigen Szenen vorzubeugen (?) Vielleicht hielt man sich ja auch nur strikt an die feuerpolizeilichen Beschränkungen. Dies war eine der wenigen Fragen, die ungeklärt bleiben sollte. Als der Zeitpunkt des Konzertbeginns nahte, füllten immer mehr langhaarige Kids mit Nietenarmbändern, Slayer-, Destructian -oder Sodom T-Shirts die Halle. Wer gedacht hatte, die 'Ost-Metaller' würden sich in irgendeiner Form von den 'West-Bangern' unterscheiden, der wurde sofort eines besseren belehrt. Wie bei uns hatten es auch hier einige geschafft, bei absolutem Getränkeverbot in der Halle, was zu zahlreichen öffentlichen Mißfallensäußerungen der Musiker führte, völlig besoffen dem Gig beizuwohnen, und erstaunlicherweise wurde auf dem Klo sogar gekifft (Wo haben die das Zeug bloß herbekommen?). Der niedrige Kartenpreis von 7.50 Mark, der natürlich in Relation zu den dortigen Einkommensverhältnissen zu sehen ist und das Auftreten der Ordnungskräfte konnten Sich allerdings positiv von westdeutschen Verhältnissen abheben. Als Ordner waren nicht etwa wie bei uns sadistische, hirnlose Schlägertypen angestellt, sondern Jugendliche (wahrscheinlich FDJ), die einen besonnenen Eindruck an den Tag legten. Natürlich blieben sie an diesem Abend arbeitslos, diesen Einwand gestehe ich ein, doch wer erwartet hätte, daß die Halle voll von Uniformierten und Zivis genesen sei, den muß ich enttäuschen.
Pünktlich um 20.15 Uhr ging dann des Festival mit der Gruppe Dr. Rock los. Diese fingen mit einer Coverversion des Priest-Songs "Private Property" an. Wie wir später vom Konzermoderator erfuhren, stand das Festival unter dem musikalischem Motto "Back to the Roots", so daß jede Band eine Coverversion eines beliebigen Priest-Songs zum Bestem gab. Warum gerade Priest und warum nur Priest, daß sagte er allerdings nicht. Offen blieb auch, ob dies ein Beschluß der Gruppen selbst war oder ob der Vorschlag von einer übergeordneten Instanz kam. Nach dem Opener folgten noch die auf Deutsch gesungenen "Metal Fan" und "Ein kleines Licht". Dann war der Auftritt auch schon zu Ende, da bei 10 Gruppen für jede Band nur eine Spielzeit von 3-4 Songs vorgesehen war. Dr. Rock spielten mittelschnellen Metal mit interessanten Rhythmusvariationen. Leider war es im Publikum noch ziemlich ruhig, da der größte Teil der Fans wegen Biest (aus Leipzig) gekommen war und daher eher auf schnellere Töne geeicht war. Die sollten sie bekommen, denn danach folgten Blackout. Für mich waren sie eindeutig die beste Gruppe des Abends. Warum sie bereits als zweite Band spielten, war mir ein Rätsel. Ich muß sagen, daß ich nicht derjenige gewesen sein möchte, der die Reihenfolge der Bands festlegen mußte. Bei dem hohen Qualitätsniveau aller Interpreten wäre eine Auslosung wohl das Beste gewesen. Blackout fingen mit "Victim of Changes" von Priest an und steigerten sich dann in einen wahren Spielrausch. "Kamikaze" war der Höhepunkt ihrer Darbietung, die aus technisch angehauchtem Speed Metal bestand. Der Sänger war der englischen Sprache gut gewachsen und bewegte sich stimmlich zwischen Geoff Tate und J. Cryiis von Agent Steel. Die Musiker waren allesamt technisch brilliant und ließen darüberhinaus auch in Punkto Optik und Stageacting nichts vermissen.lm Westen wären sie längst Superstars, doch da es in der DDR nur die staatlische Platterfirma Amiga gibt, haben sie bisher nicht einmal ein Vinylprodukt vorzuweisen.
Weiter ging es mit Kobra, die mir nicht so gut gefallen haben. Sie spielten eher eine Art "Stampf-Metal", was Titel wie "Girls, Girls, Girls" wohl eindeitig unterstreichen. Da der Sänger auch noch eine David Lee Roth-Kopie war, inklusive gestreifter Hose und Spreizsprüngen, muß ich ihnen leider vorwerfen, sich zu sehr an westliche Vorbildern orientiert zu haben. Dabei geht natürlich einiges an Eigenständigkeit verloren. Den Abschluß des zweiten Blocks bestritten Metall. Sie boten stardardisierten HM mit deutschen Texten. Metall kreirten nicht Neues, sondern verlegten sich auf geschickte Kombination von traditioneller Elementen des HM, als da wären kontrapunktiert gespielte Sololäufe, ein begleitender Bass und als Klangbasis der Off-Beat des Drummers. Als dann und wann einige Speedpassagen eingebaut wurden, wachte das Publikum kurzzeitig auf, während Metall über weite Strecken noch nur mäßige Fanreaktionen verzeichnen konnten.
Dies änderte sich auch bei Mephisto nicht. Diese spielten ähnlich wie bei Metall eher mittelschrellen HM. Fokus des Publikumsinteresses war hier der dynamische Sänger. Allerdings durfte man bei Mephisto die Songauswahl als nicht gelungen ansehen. Neben der reiner Coverversion eines Priest-Songs spielten sie auch noch Whitesnakes "Don't turn away", allerdings mit verändertem Refrain und deutschen Lyrics. Das überraschende war dann, daß sie die Frechheit besaßen, das Stück als Eigenkomposition zu deklarieren. Wenn man bei vier zu spielenden Songs auf solche Taktiken zurückgreifen muß, läßt das auf eine akute Schwäche beim Songwriting schließen.
Als sechste Band waren dann Formel Eins an der Reihe, die einzige Heave Metal Band der DDR, die bereits eine LP vorzuweisen hat. Eigentlich hatten sie ja an gleicher Stelle vor einigen Wochen bereits ihr Abschiedskonzert gegeben, doch eigens zu diesem Festival formierten sie sich noch einmal. In Zukunft werden die einzelnen Musiker jedoch getrennte Wege gehen. Ein Teil der Band startet unter anderem Namen ein ProJekt mit Musikern einer anderen DDR Gruppe, welches nach Angaben der Mitwirkenden mehr in Richtung Speed (Anthrax, Helloween) gehen soll. Der andere Teil der Gruppe will sich in anderer Form weiterhin musikalisch betätigen. Zum ersten Mal kam jetzt eine etwas ausgelassenere Stimmung ins Publikum. Das lag wohl daran, daß die Fans durch die LP bestens mit dem Material der Gruppe vertraut waren und Formel Eins darüberhinaus in der DDR so eine Art Pionierstatus in Sachen HM genießen. Neben der obligatorischen Priest-Kopie spielten sie einen älteren Sorg namens "Eddie" und natürlich "Heavy Metal" inklusive ausgedehntem Mitsingteil. Ich persörlich war von der Band nicht so angetan. Zu monoton war der Gesang und zu einfach die Songstrukturen. Nach der Live-LP hab ich mir ehrlich gesagt etwas Besseres vorgestellt. Blackout konnten sie mit dieser Leistung jedenfalls nicht übertreffen.
Nach Formel Eins gab es dann weiterhin Bekanntes, nämlich die Gruppe Pharao. Das Publikum rief spätestens nach dem zweiter Song "Schatten der Nacht" nach ihren Lieblingen Biest oder gaben sich voll und ganz ihrer Lethargie hin. Dabei könnten Pharao zumindest partiell überzeugen. Musikalisch waren sie durchaus gut, doch der Sänger versuchte permanent seine höchstmögliche Stimmlage zu präsentieren, was mit der Zeit an der Nerven zerrte. Zum Abschluß des vierten 2er Blocks gab es dann bei der vermeinlichen Vorgruppe des heimlichen Headliners Biest ein Novum zu verzeichnen. Plattform waren die einzige Gruppe mit einer Särgerin. Die Musik war auch ganz auf die rauhe Stimme der Frontlady zugeschnizten. Plattform artikulierten ihren stralghten, schrörkellosen HR mit großer Spielfreude und Vehemenz, jedoch ohne Virtuosität.
Danach wurde es im Publikum erdlich wieder lebendig. Die Publikumslieblinge Biest wurden mit Sprechchörer begrüßt. Sie bedarkten sich auf ihre Weise, nämlich mit drei erbarmurgslosen, in Deutsch gesungenen Thrash Metal-Stücken. Obligatorisch war natürlich auch bei Biest der Priest-Song. Sie suchten sich das schnellere "Grinder" aus. Ich hatte wirklich das Gefühl, hier würde das Gegenstück der Bundesdeutschen Sodom auf der Bühne stehen. Ich glaube nicht, daß es in der DDR noch eine schnellere Band als Biest gibt. Von der Texten verstand ich natürlich so gut wie gar nichts. Einmal glaubte ich den Refrain "Wir sind gegen Gewalt" ausgemacht zu haben und wem ich meiner Intuitior Vertrauen schenken, dann hieß der Titel "Cash Thrash" (oder jedenfalls so ähnlich). Der Sänger wirkte sehr aggressiv urd heizte das Publikum immer wieder an. Die restlichen Musiker standen ihm bei und bangten was das Zeug hielt. Als nach den vier Songs der Gig zu Ende war, wollten die Farns natürlich mehr, doch der Zeitplan ließ keine Zugabe mehr zu. Im Verlauf ihres Auftritts konnte die Gruppe dann auch noch stolz verkünden, daß ihr eigenes Konzert im Jugendclub bereits restlos ausverkauft sei. Da in der DDR wie bei uns der Trend eindeutig zum schnellerer Metal tendiert, ist es klar, daß Biest im Moment die totale Kultgruppe der DDR ist. Vor diesem Hintergrund hatte es die Schlußgruppe Merlin natürlich recht schwer, beim Publikum gut anzukommen. Mit Fantasy-Texten wie "Land der Träume" oder sozialkritischen Lyrics wie bei "Die Welt von Morgen" (über die weltweite Bedrohung durch Waffenarsenale) und einem Sänger, der versucht, Geoff Tates höchste Stimmlagen zu übertreffen und sich damit keinen Gefallen tat, versuchten Merlin das Publikum auf ihre Seite zu bringen. Dies gelang ihnen allerdings nur partiell, der größte Teil der Fans rief jedoch immer noch lautstark nach Biest. Zum Abschluß dieses Konzerts blieb es dennoch der Abschlußgruppe vorbehalten, alle Musiker der verschiedenen Gruppen zu einer Session auf die Bühne zu holen. Wie konnte es auch anders sein, man entschloß sich, zwei Priest-Songs zu spielen (schon wieder...). Da man ja keine große Auswahl mehr hatte, spielte man "Breaking the Law" und "Living after midnight". Es war schon lustig mit anzusehen, wie ca. 30 Musiker die Bühne bevölkerten und dennoch kein (musikalisches) Chaos entstand. Jeder Ton paßte und sowohl Musiker als auch Fans durften diese Jamsession als krönenden Abschluß eines hervorragenden FestiVals angesehen haben.
Für den neutralen Beobachter stellt sich letztlich natürlich noch die Frage, wie man die ganze Sache zu bewerten hätte. Positiv zu erwähnen wäre, daß der Sound das gesamte Konzert lang sehr gut war, obwohl alle Bands über die gleiche Anlage spielten. Dies halte ich bei uns für undenkbar. Ebenfalls erfreulich war, daß der Reinerlös dieses Gigs nicht in irgendwelche Taschen floß, sondern für einen wohltätigen Zweck (in diesem Fall eine Spende für Nicaragua) zur Verfügung gestellt wurde. Im Prinzip ist dieses Vorgehen durchaus nachahmenswert. Vielleicht sollte man jedoch nächstes Mal versuchen, so ein Ereignis mehr Fans zugänglich zu machen. Um die DDR-HM-Szene braucht man sich indes keine Sorgen zu machen, wenn man bedenkt, daß bei diesem Festival auch noch gute Bands wie Babylon, Regenbogen, Victim aus Leipzig, Prinz aus Erfurt oder MCB fehlten. (von Matthias Mader)
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