"Einblicke in den metallischen Alltag zwischen Rostock und Karl-Marx-Stadt" - Zeitschrift "Rock Hard" (1989)Daß auch im anderen Teil Deutschlands so etwas wie eine HM-Szene existiert, dürfte inzwischen jeder mitbekommen haben. Immer wieder mal taucht der Name der einen oder anderen DDR-Band in unseren Medien auf, entstehen Kontakte über Kleinanzeigen zwischen Fans aus Ost und West. Gemessen an der Berichterstattung über die ferne US-Szenerie sind die Metaller im geographisch nahen sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat jedoch noch ein unbeschriebenes Blatt.Es hätte wohl wenig Sinn, anhand eines Kurzbesuchs oder von Dortmund aus die dortige Szene analysieren zu wollen. Einer, der's hingegen wissen muß, ist Peter aus Ost-Berlin. Peter hat Kontakte in die ganze Republik und kennt sich - im Gegensatz zu uns - bestens mit den Problemen der Metalfraktion in seinem Land aus. Hier ist sein Bericht: Auch in der DDR hat die harte Gangart des Rock von Anfang an seine treuen Fans. Doch erst seit etwa fünf Jahren kann - analog dem allgemeinen Trend - ein sich ständig verstärkender Run auf Heavy Metal, besonders Thrash und Speed-Metal, verzeichnet werden, Mittlerweile gibt es weit über 50 eingestufte Gruppen, die sich HM in dieser oder jener Form auf die Fahnen geschrieben haben. Die populärsten unter ihnen sind MCB, Biest, Argus, Merlin, Caiman, Pharao und Disaster Area (siehe Bild). Jede Gruppe muß zur Erlangung der staatlichen Spielerlaubnis (im DDR-Jargon kurz "Pappe" genannt) eine etwa halbstündige Einstufungs-Veranstaltung absolvieren, wobei das Repertoire zu 60% aus eigener Feder stammen sollte. Im Amateurbereich können vier Stufen, im einzelnen sind das Grund-, Mittel-, Ober- und Sonderstufe, vergeben werden. Damit ist dann die Rechtmäßigkeit eines Auftritts, sowie die Höhe der abendlichen Gage festgelegt. Für die Veranstalter (Club oder Gaststätte), die die Gruppen dann engagieren, sind solche Stufen allerdings nicht sonderlich interessant. Ausschlaggebend ist auch hierzulande die zu erwartende Publikumsresonanz. Dadurch kann es vorkommen, daß eine Mittelstufen-Band weit mehr Auftritte (DDR-Ausdruck hierfür ist "Muggen") bei abendlich gleicher Entlohnung wie eine Gruppe der Sonderstufe hat. Doch Veranstalter, die sich HM-Gruppen ins Haus holen, sind sehr rar gesät. Basisnah haben zwar viele von Ihnen bereits die Zeichen der Zeit erkannt, jedoch werden ihnen dann behördlicherseits ("von staatlicher Stelle") die Hände gebunden. Um für diese Willkür genügend Argumente zu haben, wird tief in die Mottenkiste gegriffen, und es werden alte Kamellen von anno dunnemals ausgegraben. Im allgemeinen ist das HM-Publikum, egal ob Hardrock- oder Thrash-Fan, in der DDR sehr friedlich und für jedes Konzert dankbar. Daraus leitet sich - neben der Muggenknappheit - für die HM-Gruppen ein weiteres Problem ab. Sie werden nämlich vielerorts vom Publikum nicht allzusehr gefordert, da es nicht verwöhnt ist. Natürlich kann sich bei solcher Praxis eine Band nur sehr schwer profilieren und damit die Spreu vom Weizen getrennt werden. Dazu kommt noch, daß viele Gruppen ein fast ausschließlich aus Coverversionen bestehendes Programm anbieten, da ihr eigenes Material beim anwesenden Volk nicht diese Popularität besitzt. Streckenweise kann sogar ein völliges Desinteresse bei den Gruppen selbst verzeichnet werden, da sie sich mit eigenen Songs keine Chancen ausrechnen. Womit kann die Popularität mehr gesteigert werden, als durch die Medien? Deshalb jetzt ein paar Worte zu Schallplatte und Rundfunk. AMIGA, das DDR-Label für Unterhaltungsmusik, hat 1988 für ihre Verhältnisse fast inflationär viel, nämlich genau vier HM-Editionen herausgebracht. So erschien ein Sampler innerhalb der "Kleeblatt"-Serie mit dem Titel "Hard & Heavy" und jeweils vier Songs von MCB, Plattform und Cobra. Desweiteren kamen mit dem Debüt-Album der Ostberliner Hardrock-Band Babylon "Dynamit" und dem neuen Album von Prinzip "Phönix" noch zwei DDR-Produktionen auf den Markt. Zu Prinzip ist anzumerken, daß es sich hierbei um eine der dienstältesten Rockgruppen der DDR handelt, die nach einer Mainstream/Disco-Phase wieder zu ihren Roots, dem Hardrock, zurückgefunden haben. Die vierte Edition von AMIGA war die Lizenz-Pressung der '85er Scorpions-LP "Love At First Sting", mit anderem Cover und Begleittext eines Plattenschreibers, welche besonders für Sammler äußerst interessant sein dürfte. Lizenzpressung haben in der DDR nämlich meistens eine sehr niedrige Auflage, weshalb sie auch wenige Stunden nach Auftauchen auf dem Ladentisch bereits vergriffen sind. Die Songs für die DDR-Produktionen wurden - bis auf zwei Stücke von Cobra - nicht von der Schallplattenfirma selbst, sondern die Prinzip-Scheibe im privaten Tbnstudio von dem Bandleader und Gitarristen Jürgen "Matko" Matkowitz und die restlichen 20 Titel im staatlichen Rundfunkstudio aufgenommen. Das ist bezeichnend für die derzeitige Situation, denn weit mehr als die Schallplattenfirma, die staatlich geschützt keiner privaten Konkurrenz gegenübersteht, bemüht sich der staatliche Rundfunk, auch neuen Bands - im Rahmen der begrenzten Kapazität - das Studio zur Verfügung zu stellen. Da private Tonstudios nach wie vor Mangelware sind, ist für viele Musiker, nicht nur der HM-Szene, der Gang zum Rundfunk noch der einzigiste Weg, um qualitativ einigermaßen vernünftige Produktionen abzuliefern. Einer wirklich guten Qualität stehen die bescheidenen technischen Möglichkeit des Studios, sowie das begrenzte musikalische Einfühlungsvermögen der total überforderten und nicht auf HM spezialisierten Toningenieure entgegen. Als weiteren Druckpunkt empfinden auch viele Bands die dogmatische Festlegung, daß nur deutsche Texte produziert werden , dürfen. Englischsprachige Aufnahmen, wie sie viele HM-Gruppen gerne machen würden, sind wiederum nur in privater Regie ausführbar. Da als weiteres Regulativ dann noch die Kapazität der Plattenpresse hinzukommt, bedarf es eigentlich kaum noch allzuviel Engstirnigkeit des AMIGA-Labels, um die Neuerscheinungs-Rate derart niedrig zu halten. Durch die Sendungen des Rundfunks gelangt da schon weit mehr an die Öffentlichkeit. So gibt es seit Beginn der "Jugendradio DT64-Welle" (DT64 steht übrigens für "Deutschlandtreffen der FDJ 1964") die HM-Sendung "Tendenz Hard bis Heavy", die wöchentlich einmal in 55 Minuten versucht, die nationale und internationale HM-Szene zu beleuchten. Dabei reicht die Spanne vom Hardrock-Klassiker bis hin zum Thrash-Metal. Zusätzlich zu dieser Stunde werden auch in Wertungssendungen der nationalen Rockmusik ("Beatkiste", "Tip-Disko") zur Zeit regelmäßig HM-Produktionen, z.B. von Merlin, Kristall und Biest gespielt. Dabei erreichen diese Bands sogar häufig die vordersten Plätze. Weiterhin werden in der speziellen Mitschnitt-Sendung "Duett" auch hin und wieder internationale Platten, wie z.B. die neuen Maiden- und Cinderella-Langrillen, vollständig über den Sender gejagt. Natürlich sind auf diese Weise die vielen Geschmacksrichtungen, die es mittlerweile auf dem HM-Sektor gibt, nur unzulänglich zu befriedigen. Will nun ein eingefleischter Metal Maniac sich damit nicht begnügen, was ja völlig verständlich ist, muß er schon mal tief in die Tasche greifen. Platten aus der westlichen Welt kosten leicht 20 bis 25% des Monatslohnes (200 Mark), manchmal sogar noch mehr! Sowohl die hohen Preise, als auch der sehr begrenzte, auf privaten Wegen organisierte Versorgungsstrom zwingt die Fans zum Aufbau von umfangreichen Tauschverbindungen - sogenannten Plattenringen. Meist sind diese Verbindungen regional begrenzt, doch existieren auch überregionale Kontakte, z.B. zwischen Schwerin, Berlin und Zwickau, Leipzig, Dresden. Ein Metal-Fan, der solch einem Plattenring angehört, hat einen ziemlich guten Überblick über fast alle ihn interessierende Editionen, muß allerdings auch immer wieder seinen Beitrag in Form von aktuellen Platten oder sonstigen Raritäten leisten. Besorgt werden die Scheiben entweder über Reisende ins westliche Ausland oder durch eine Urlaubs-/Einkaufsfahrt nach Ungarn. Ein Nebeneffekt dieser Leidensgemeinschaft ist der sehr starke Zusammenhalt, der noch über das bereits bekannte, für die Metallszene typische Maß hinausgeht. Viele überregionale Kontakte entstehen bei Konzerten von DDR-Bands, da ausländische Metalgruppen quasi überhaupt nicht auf Bühnen dieses Landes zu sehen sind. Einzige Ausnahme bisher bildeten die russischen Metalacts ARIA und KRUIZ, deren Auftritte absolute Höhepunkte im normalen Konzertalltag darstellten. Zu westlichen Gruppen mußten sich die Fans auch dieses Jahr wieder - wie schon all die Jahre zuvor - nach Ungarn begeben. Daß solch eine Reise den einzelnen Fan natürlich bis an seine finanzielle Grenze belastet, braucht hier sicher nicht nochmal betont zu werden. Doch dessen ungeachtet waren es wieder beachtliche Heerscharen, die sich zu den Konzerten von Metallica, Iran Maiden, Kiss und Kreator Richtung Budapest in Bewegung setzten. Eine weitere Möglichkeit, mit seinesgleichen zusammenzutreffen, bilden auf Metal spezialisierte Diskotheken. Es gibt momentan zwei Diskotheken, die staatlich zugelassen sind und am Abend ausschließlich HM spielen, das sind "Johnny & die Experten" aus Leipzig, sowie die "Insolit-Thrash-Disko", die besonders im Berliner Raum auftritt. Es handelt sich dabei - wie in der DDR üblich - um Wander-Diskotheken. Allerdings existieren, speziell mit der Insolit-Thrash-Disko, regelrechte Veranstaltungsreihen in Jugendklubs und Gaststätten, so daß ein regelmäßiger Besuch möglich ist. Dadurch hat sich in den letzten Jahren die Berliner Szene konsolidiert und kann nunmehr immer bessere Kontakte in die ganze DDR vorweisen. Auch wenn sich HM-Fans weitab von politischen Ambitionen treffen, wird von staatlicher Seite schon äußerst sensibel reagiert. Doch hier verhält es sich rein physikalisch: Druck erzeugt Gegendruck. Metalfans möchten nicht mehr und nicht weniger, als von der Gesellschaft akzeptiert zu werden und bei der Ausübung ihres Hobbys, HM zu spielen und zu hören, nicht willkürlich - weil die Geschmacksnerven der Behörden die Grenze sind - behindert werden. Sie sind vor allem auf die Musik fixiert und haben mit Randale äußerst wenig am Hut. (von Peter Schramm) |