Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (9)

"Thrash Against The Wall - Die Internationale der Metaller im Einsatz für die DDR" - "Metal Hammer" (1990)

Die DDR ist ein rockmusikalisches Entwicklungsland, keine Frage. Womit nichts gegen die Qualität der Bands oder der Musiker aus dem Land der geplatzten Real-Sozialismus-Träume gesagt sein soll, die sind so gut oder schlecht wie ihre Kollegen anderswo auch. Die Ausgangssituation für Rockbands in der DDR allerdings ist eine ganz andere als hierzulande. Es gibt immer noch kaum professionelles - nach westlichen Standards - Equipment, nur wenige Aufnahmestudios, kaum Möglichkeiten, eine Platte einzuspielen, beschränkte Auftrittsmöglichkeiten und dergleichen mehr, respektive weniger.
Nun ist zwar die Mauer gefallen und die Vereinigung, in welcher Form auch immer, rückt immer näher, doch an der eigentlichen Situation hat sich noch nicht so viel geändert. Westliche Standards, vor altem im Studio- und Equipmentbereich, bleiben nach wie vor unerschwinglich für Musiker von "drüben", Auftritte im glitzernden Westen nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel. Gleichzeitig, müssen die Bands eine der ehernen Regeln des Kapitalismus lernen: Nur, wer bereits professionell arbeitet, also z.B. hochklassig produziertes Demomaterial im Aktenköfferchen hat, hat überhaupt die Chance, bei West-Plattenfirmen ins Gespräch zu kommen.
Ohne Hilfe von außen wird die DDR-Szene, wie überhaupt die gesamte Ostblock-Szene, noch Jahre brauchen, um aus jenem Ghetto herauezukommen, in welches die totalitären Machtmittel sie über lange Jahre hinweg eingesperrt haben.
Ein erster und sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist der von Roadrunner erstellte Sampier THRASH THE WALL, der in diesen Tagen in die Läden kommt, und zwar weltweit.
Die Grundidee ist einfach und gut: Von jeder in der BRD verkauften Platte wird eine DM abgezweigt und in einen speziellen Fundus eingezahlt. Dieser Fundus soll ausschließlieh zu dem einen Zweck verwendet werden, künftig vielversprechenden Nachwuchsbands aus der DDR unter die Arme zu greifen. Gefördert wird diese Roadrunner-Aktion vom Komitee für Unterhaltungskunst "Abteilung Rock" in Zusammenarbeit mit der offiziellen DDR-Plattenfirma VEB Amiga.
Weiterhin plant Roadrunner, einen DDR-weiten Wettbewerb für Hardrock- und Heavy Metal-Bands auszuschreiben. Die Bands werden gebeten, ihre Aufnahmen einzusenden, welche dann von einer kompetenten Jury aus Rock-Journatisten, Vertretern von Amiga und Mitarbeitern von Roadrunner angehört und bewertet werden. Diese Jury ermittelt letztlich die "Gewinner". Der erste Preis ist ein kostenloser Studioaufenthalt in den Berliner MusieLab-Studios, wo die betreffende Band gemeinsam mit Producer Harris Johns eine Aufnahme fahren kann. Falls über die Abverkäufe des Samplers ausreichend Geld reinkommt, steht diese Möglichkelt unter Umständen auch den beiden nächstpleierten Bands offen.
Daß der Sampler sich gut verkaufen wird, scheint durchaus schon gewährleistet, wenn man sich die Liste der Bands ansieht, die ihr Scherflein beigetragen heben. Das sind im einzelnen King Diamonde ("SLeepless Nights"), Helloween ("Future World"), Motörhead ("Eat The Rich"), Rage ("Invisible Horizons"), Running Wild ("Raging Fire"), Sodom ("Remember The Fallen"), Paradox ("Seerch For Perfection"), Annihilator ("Human Insecticide"), Obituary ("Finds The Arise"), Sepultura ("Sarcastic Existence"), Atrophy .("Slippery Through The Crack"), Xentrix ("Balance Of Power"), Rochus ("Let's Thrash") und Gang Green ("Tear Down The Walls").
Einige der Tracks wie beispielsweise die Liveaufnähme von Annihilators "Human lnsecticide" Waren bislang auf Vinyl noch nicht erhältlich, so daß das Album auch denjenigen, die eigentlich schon alles haben, noch einige kleine Uberraschungen bieten kann.
Als Überraschung mag man auch Rochus bewerten. Rochus ist die erste DDR-Thrash-Band, die im Westen, und dazu gleich noch Weltweit, mit einem eigenen Beitrag auf einer LP erscheint. Damit sind die Jungs aus dem bisherigen DDR-Underground zu Pionieren geworden für die Unzahl jener ihrer Kollegen- und Kolleginnen, denen der Erlös aus den Verkäufen des Samplers letztlich zugute kommen soll. (von Edgar Klüsener)

"AIDSNOST und Heavy Metal..." - Zeitschrift "Metal Hammer" (1990)

Gesamtdeutsches hat Konjunktur. Auch im Heavy Metal und vor allem in Berlin. Woselbst, in jenem Teil, der bis dato noch als "Hauptstadt der DDR" firmiert, in der ersten Februarwoche ein bemerkenswertes Festival über die Bühne ging. Zwei Tage lang rockten und thrashten Bands aus Ost und West um die Wette und gegen die Uhr und hatten dabei noch, neben dem puren Spaß am Zocken, einen gute Zweck im Auge. Um Pariser ging es, auch Gummis genannt und Verhüterli, Präser und Tropfenfänger.
AIDS, so vernahmen Publikum und Presse, ist auch in der bislang als recht keimfrei erachteten DDR ein Problem, ein Problem, dem man dort selbst allerdings bei weitem nicht so gerüstet gegenübersteht, wie im blattvergoldeten Westen.
Es fehlt praktisch an allem. An Kondomen und an Informationsmaterial, an Medikamenten und an Aufklärung, an fachgerechter Hilfe und an Hilfe zur Selbsthilfe für Betroffene, sprich Positive.
Immerhin, es gibt sie auch in der DDR, jene Automaten, die gegen Bargeld ihre Schubladen öffnen und Pariser spenden. Nur funktionieren sie nicht so recht - wenn überhaupt.
Sven Rappoldt, Veranstalter und Organisator des Festivals, außerdem Basser der Combo Headless (früher Metall) erklärt: "Diese Automaten stehen sogar noch an manchen Orten. Das Problem ist, daß der Hersteller inzwischen nicht mehr existiert, es keinen Nachfolger und damit auch niemanden gibt, der die Dinger reparieren kann. Wenn überhaupt noch was zu reparieren ist, denn die meisten sind schlicht überm Jordan."
So soll denn das an den beiden Abenden eingenommene Geld, die Bands verzichten auf ihre Gage, dazu verwendet werden, Kondom-Automaten und Inhalt im Westen anzukaufen und dann in Berlin-Ost und anderen Ecken der DDR aufzustellen.
Benefizkonzerte von Metalbands haben Tradition in der Langhansstraße. In früheren Jahren rockten dort Acts für Nicaragua und für die UNICEF, Veranstaltungen, die jedoch jedesmal ein schales Gefühl bei den Machern hinterließen: "Wir wußten nie genau, was letztlich wirklich mit dem Geld passierte und wohin es tatsächlich floß." Nun jedoch kommt der Erlös erstmalig Inlandsprojekten zugute, die Verwendung der Gelder bleibt mithin kontrollierbar.
Information und Aufklärung war, neben purem Metal, ebenfalls angesagt. Zu diesem Zwecke hatten sich AIDS-Hilfe Berlin (West) und die jüngst formierte AIDS-Hilfe Berlin (Ost), vertreten durch Ina Hermann von der Charite, zusammengetan, unterstützt durch die Schwulen-Initiative Ostberlin und zwei Positive, Napoleon und Eddie. In einer kurzen Ansprache jeweils zu Beginn der beiden Festivaltage wurde auf Art und Zweck der Veranstaltung eingegangen, sowie auf den Stand der AIDS-Hilfe im Vorraum hingewiesen, der später reichlich Zulauf fand, zumal es neben vielerlei Broschüren und ähnlichem eben auch Pariser zum Nulltarif gab.
Aber kommen wir zum Wesentlichen, zu den Bands und ihren Auftritten. Der erste Tag stand ganz und gar im Zeichen von Speed und Thrash. Den Auftakt machten die Ostberliner Powerage, die nicht viel bemerkenswertes boten, halt Nullachtfuffzehn-Durchschnitts-Gedresche. Auffallend höchstens die Tatsache, daß der Leadgesang aus rauher weiblicher Kehle stammt.
Weiter ging's mit Yorba Linda, ebenfalls kein Lichtblick, aber auch, da sei betont, kein Tiefpunkt.
Tja, und dann kam der erste kleine Höhepunkt. Sixtus heißt der, und diese Namen sollte man sich durchaus schon mal merken. Die Band ist zwar noch lange nicht aus den Kinderschuhen raus und hängt noch viel zu stark an den von Metallica über Slayer und Exodus bis hin zu Sodom geprägten Klischees, doch sie hat unüberhörbar Potential, musikalisches wie technisches. Wenn es ihr gelingt dieses in Richtung Eigenständigkeit weiter auszuformen, dann stehen für Sixtus noch alle Optionen offen.
Was im übrigen auch für Hardholz gilt, eine relativ junge DDR-Band, die gleichfalls vielversprechende Ansätze zeigt und entsprechend vom Publikum gewürdigt wurde. TX-Barry, die vorletzte Band des ersten Abends, kam zwar ebenfalls recht gut an, ist jedoch nur eine von unzähligen Bands, die alle irgendwie gleich klingen, also nicht unbedingt erwähnenswert.
Ganz anders da schon Biest, der Headliner. Biest ist ein Band, die auch im Westen durchaus schon einen Namen hat - sehr zu recht, wie sie live dann unter Beweis stellte. Ein würdiger Abschluß für einen harten und guten Abend.
Gut ging's am nächsten Tag weiter - bis in die Puppen. Acht Bands waren definitiv zu viel für einen Tag. Den Auftakt machten die West-Berliner Marilyn, eine konventionelle Hardrock-Band, aber nicht gerade weltbewegend. Weiter ging's mit B.O.R.N., eine recht gute melodiebetonte Rockband und Mother's Little Nightmare, letztere aus dem Westen und der erste unbestreitbare Höhepunkt des Abends. Das selbstbetitelte Debütalbum der kleinen Alpträume hatte ich alles andere als weltbewegend gefunden, der Liveeindruck indes machte auf Vinyl verlorenes Terrain mehr als wieder gut. Insbesondere Vokalist Chappi überzeugt durch seine starke Bühnenpräsenz und mit professionell anmutendem Acting. Ihre straighter dreckiger Rock kam entsprechend gut an im verdammt gut gefüllten Kulturhaus Langhansstraße.
Mephisto oblag es, die Stimmung oben zu halten, und die Ostberliner machten ihre Sache gut und überzeugten ebenfalls auf ganzer Linie. Kein Wunder, daß inzwischen auch Westfirmen deutliches Interesse an Mephisto zeigen.
Für die Peinlichkeit des Abends sorgten, unbeabsichtigt aber effektvoll, Headless. Die Band des Veranstalters Sven, er spielt Bass, hervorgegangen aus Metall, einer der dienstältesten DDR-Heavybands, meinte die Revolution in der DDR und gesamtdeutsches "Wir sind wieder zusammen"-Gefühlsgemisch besingen zu müssen und stimmte extra zu diesem Zwecke den Song "1989" an, die Mauer ist weg, uns geht's jetzt allen gut und so. Der Aufruf zum Mitsingen des Refrains jedoch blieb, obwohl mehrfach wiederholt, weitgehend unbeantwortet, die Menge reagierte reichlich unterkühlt. Metal war gefragt und kaum nationaler Gefühlsüberschwang. Schade um den Flop, denn ansonsten ist Headless eine gute Band mit einem phantastischen Sänger, um den sich nicht nur hierzulande wohl jede Menge Bands reißen würden, vom Stimmvolumen her vergleichbar mit Klaus Lessmann.
"Die mußt Du Dir unbedingt ansehen, die sind einfach toll!" hatte mir eine nette junge Dame ans Herz gelegt und Merlin gemeint. Nun ist der Name eh schon kein so ganz unbekannter mehr und so wartete ich denn gespannt auf jene Band, die als einer der herausragenden DDR-Acts gilt. In der Tat, Merlin IST bemerkenswert. Ein exzellenter Sänger der Kategorie Geoff Tate/Michael Kiske, hervorragende Musiker und sehr gutes Material machen Merlin zu einer sehr viel versprechenden Band, deren einziges Problem derzeit sein dürfte, daß sie noch etwas zu sehr wie Helloween klingt, obwohl man kaum von Akbupfern sprechen kann, da spielt wohl eher die Stimmlage des Sängers Mario Schneider und das ähnliche Writing eine Rolle. Etwas mehr Eigenständig keit und die Band könnte bald ganz oben mitspielen.
Was von Babylon sicherlich nicht gesagt werden kann, deshalb decken wir den Mantel des Schweigens über deren Auftritt und wenden uns direkt dem Topact zu. Der kommt aus dem Westen, hört auf den Namen Amazone und hatte denkbar schlechte Startbedingungen. Ein kranker Gitarrist, die weit fortgeschrittene Zeit (ca. 2 Uhr morgens) und ein inzwischen reichlich übermüdetes und stark ausgedünntes Publikum seien in erster Linie genannt. Wer jetzt noch da war, der sollte es nicht bereuen. Amazone Willie und ihre Jungs haben sich verdammt verbessert. Starke Songs und versierte Musiker sind die eine Seite, Willie ist die andere. Für mich ist sie eine der besten Sängerinnen und Performerinnen im harten Rock überhaupt und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn Amazone nicht in absehbarer Zeit ganz oben mitspielen wird.
Dieser Meinung war auch der erschöpfte Rest jener, die immer noch auf den Beinen standen und anschließend noch im Musikertreff Maxim Gorki bis in den frühen Morgen hineinfeierten.
Alles in allem ein rundum schönes Festival, daß die Kollegen aus dem Osten durchaus mal zu uns exportieren sollten. (von Edgar Klüsener)
ZURÜCK WEITER