Zeitungs-Ausschnitte: Formel I (1)

"Schwermetall im Bärenschaufenster" - Zeitschrift "Melodie & Rhythmus" (1982)

Es war in einer jener flach gebauten, sich aber vielleicht gerade darum durch eine Mischung aus Freundlichkeit und Bescheidenheit auszeichnenden Klubgaststätten, die mittlerweile wohl in typischer Art die Infrastruktur unserer Neubaugebiete, und das wohl auch nicht nur in der Hauptstadt, festigen halfen - im "Bärenschaufenster" unweit des Berliner Tierparks. An einem jener deprimierend verregneten Herbstwochentage war dort eine Band zu Gast und zum Tanz angesagt, deren furioser Name eigentlich schon weit vor dem ersten akustischen Eindruck Motorengeheul ausstrahlt: FORMEL 1. Und um's gleich zu sagen - die Band hielt das Gebrauchswertversprechen, das ihr Name verkündete, wenngleich sie aufgrund der bescheidenen Abmessungen der Gaststätte die halbe PA im LKW lassen mußte, mithin also auch nur mit halber Kraft "powern" konnte, was sich gewöhnlich gerade für Schwermetall-Rock nachteilig auswirkt. Das aber ist nur eine der objektiven Schwierigkeiten, mit denen sich Rockbands im anstrengenden Veranstaltungsalltag, sprich den 5-Stunden-Abenden auf die konkreten Bedingungen am jeweiligen Ort und inmitten der starken Disko-Konkurrenz behaupten müssen. Offenbar war das Publikum an jenem Donnerstagabend auch so sehr alltagsgestreßt, daß die Gruppe nicht nur musikalisch, sondern Bandleader Norbert Schmidt auch verbal zum Tanz auffordern mußte. Dann allerdings füllte sich die Tanzfläche wie auf ein Kommando. Kaum zu übersehen, daß wieder mal die Schwellenangst (keiner will der erste sein) die unbescheidene Rolle spielte; wie gehabt. Die Band spielte also Schwermetallrock, eine Musik, die bekanntlich beträchtliche Stimmung in den Tanzsälen erzengen kann. Als Vorbilder gelten Richie Blackmore's RAINBOW, PIRAMIS aus der Ungarischen VR und JUDAS PRIEST; sie spielten Titel dieser Gruppen, aber auch solche von SAXON, POLICE, BLACK SABBATH oder den KINKS aus deren früher Phase. Bemerkenswert war hier die ungewöhnliche Klarheit, Sauberkeit und Präzision, mit der solches von der Bühne kam. Wer nun aber meint, die Gruppe sei ausschließlich plagiativ veranlagt, der irrt. FORMEL 1 verfügt über ein zwar durchaus zu erweiterndes, nichtsdestoweniger aber schlagkräftiges wie originelles Repertoire an Eigenkompositionen. Ich denke hierbei nur an Songs wie "Mensch Rosie", "Das Tramperlied" oder "Willste nich uffstehn". FORMEL 1 ist die erste landeseigene Rockband, die ich im original Berliner Dialekt zum Tanz vernehmen konnte. Die Titel entsprachen voll dem Wollen der Gruppe - sie waren lebensnah, direkt, jeder verstand sie - eine Feststellung, die indes und offenbar nicht durchgehend für das rein akustische Verständnis zutraf. Das aber ist wohl ein grundsätzliches Problem für alle Gruppen mit vehementer Rockstilistik. Die Authentizität der Songs war jedenfalls erstaunlich. Ein Beispiel, zu dem man sich eben noch die Musik hinzudenken müßte:
(1) Drei Jahre jehn' wa, is 'ne janz schön lange Zeit / Und nich eenmal jab et Streit /
Du hast da nich, nich eenmal bei mir beschwert / Ja und Amen hab ick nur jehört
(Refr.) Mensch Rosie, schlag' mal Krach / Mensch Rosie, jieb nich gleich nach /
Mensch Rosie, weis' mich mal zurecht / Mensch Rosie, find ma doch mal schlecht
(2) Früher hab' ick ma imma abjehetzt / bin nach de Arbeet jleich zu dir jewetzt /
Merkste nich, heut' drangt ma nischt mehr zu dir / Ick jeh erst und trink mein Bier
(3) Ick hab da ooch mal mit 'ner andern Braut betrogen / Nich 'ne Miene haste verzogen /
Oft hab' ick da ooch zu Unrecht anjeschrien / Und du hast ma uff de Stelle vaziehn
(4) Früher hab' ick heiße Liebe für dir jefühlt / Wie hat sich die doch abgekühlt /
Tu eenmal nich allet nur für mir / Daß ick noch spür', Ick brauche dir

Die Texte zu solchen Eigenkompositionen schreibt Katharina Koch, die übrigens auch für die Primaner tätig ist. Bedenkt man, daß die Band erst seit Anfang 1981 existiert (ihre Mitglieder kommen von REGENBOGEN, TROJA, JOCO DEV, ELEFANT und COLLEGIUM MUSICUM), staunt man über solch schnelle Fügung. Der Tanzabend war jedenfalls ein Erfolg, sowohl für das Publikum als auch für die Band, die sich aus Norbert Schmidt (voc, 1d), Wolfgang Densky (g), Peter Finke (dr), Detlef Dutziak (b, voc) und Andre Horvak (g, voc) zusammensetzt. (von Walter Kutzner)

Band-Geschichte bis 1982 - Buch "Rock" von H.P. Hofmann (1983)

Formel I: DDR-Gruppe; 1981 in Berlin gegrüntet; Mitglieder: Norbert Schmidt (voc, Ex-Joco-Dev), Wolfgang Densky (g ; Ex-Joco-Dev), Peter Fincke (dr), Detlef Dudziak (bg, Ex-Elefant), Andre Horvath (g; ex-Collegium-Musicum); Gruppe bevorzugt Heavy Metal Rock; Kompositionen werden gemeinsam erarbeitet; Texte Katherina Koch; die eigenen Songs werden mit Berliner Dialekt interpretiert; in der Jahresauswertung "Treff für Nachwuchsgruppen" von Radio DDR, Dezember 1981, belegte Formel I mit"Willste nich uffstehn" den 1. Platz; weitere Funkproduktion: "Mensch Rosie".

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