"Aus der Höhle in die Burg" - Zeitschrift "Melodie & Rhythmus" (1987)20. MAI 1987, 19.00 UHR: Vor dem Jugendklub in der Berliner Langhansstraße drängt sich eine dichte Traube voll erwartungsfreudigen Heavyfreaks in Leder, Nieten und Jeans. Die Karten sind seit Wochen ausverkauft: Das neue Formel I-Programm! Wilde, phantastische Gerüchte tauchen auf, werden ausgetauscht. Aber noch ist alles "top-secret". Der kleine Saal ist vollgestellt mit Technik, ein dichter, roter Vorhang versperrt die Sicht auf die Bühne. Allein die neue Lichtanlage läßt auf einiges hoffen. Am Mixer pulsiert der Bildschirm eines angeschlossenen Personalcomputers. Das bereits seit etwa zwei Stunden vorhandene "Szenepublikum" schwatzt mit den nun doch schon ziemlich nervösen Musikern.Gegen 20.00 Uhr hat sich der Saal gefüllt, die Fans nehmen vor der Bühne zum Headbangen Aufstellung. Und die Show beginnt. Unter den Klingen des neuen Band-Intro öffnet sich der Bühnenvorhang. Noch ist alles stockdunkel. Die Spannung steigt. Aus dem Bühnennebel schält sich der düstere, in kaltes Licht getauchte Innenhof einer alten, aus Feldsteinen gebauten Burg, darüber dunkle, schwere Gewitterwolken - aufgetragen auf drei große Leinwandflächen. In der Mitte des Hofes ein Podest mit zwei unterschiedlichen Spielebenen für Drumkit und Show, zu erreichen über mehrere Treppen. Es zeigt weitere Szenen des Burginnenhofes. Die Überraschung ist gelungen, die Fangemeinde begrüßt stürmisch das neue Bühnenbild, und mitten in den Jubel bricht die neue Show. Aber nicht nur das Outfit der Band ist neu, neu sind auch die Songs, das Material ist schneller und härter geworden. Präzis arbeitet die Rhythmusgruppe - die ideale Vorbereitung für die ersten Songs, passend zum Bild benannt "Kreuzritter" und "Hart wie Stahl". Auch Frontman Norbert Schmidt tut sein Bestes. Für viele der nachrückenden jungen Musiker verkörpert gerade er die gebündelte Erfahrung der "livehaftigen" Hardrocktradition in diesem Land, die natürlich auch in das neue Songmaterial einging, wie "Fehlstart" , "Vorurteil" oder "Das letzte Rad am Wagen". Es wird vom Publikum sofort euphorisch angenommen. Neu ist auch das internationale Material im Repertoire, selbstverständlich wieder vom großen Vorbild Iron Maiden, und zwar vom jüngsten Album "Somewhere In Time". Aber nicht nur das neue Songmaterial, auch die Bühne läßt viel Spielraum für die visuelle Arbeit der Musiker, ein wesentlicher Aspekt der neuen Show. Vor allem den beiden Axeman bieten die extra für sie erdachten beiden neuen Spielebenen, die sie während der Chorusse über die Treppen hurtig erklimmen können, vielfältige Möglichkeiten. Dazwischen agiert souverän der Meister, der alle Fäden zusammenhält. Beeindruckend auch die neue Lichtanlage, sozusagen als Herzstück des Ganzen. Die meist in Rot und Blau gehaltenen Farbwerte unterstützen sehr effektvoll die Show. Lauflicht und Grundeffekte werden bei Formel 1 erstmals über einen Computer gesteuert, so daß der Mann am Lichtmixer die Möglichkeit hat, zusätzliche Effekte darüber zu geben. Ein Höhepunkt ist sicherlich die soundgewaltige Einlage von Gitarrist "Wolle" Densky, angestachelt vom Trommler der Band, Peter "Paule" Fincke, bei der Paule (im Rob Halford-Look) seinem Gitarristen zeigt, was eine "Metal-Harke" ist, übrigens sehr wirkungsvoll inszeniert. Und die Fans sind bei allem "total gut drauf", singen solche Formel 1-Klassiker wie "Mach keine Wellen", "Wär mein Leben programmierbar" und natürlich "Heavy Metal" mit, auf die man selbstverständlich nicht verzichten wollte. Nach gut 90 Minuten Metal-Gewitter geht diese neue Show erst einmal zu Ende. Die Stimmung ist phantastisch. Die obligatorischen Zugaben "Breaking The Law" und "Eddie" werden von den Metal-Freaks nachdrücklich gefordert und von der Band selbstverständlich auch gegeben. Am Ende dann sehr viel Beifall und viele, viele zufriedene Gesichter... Aber was da für das Publikum so locker und leicht über die Bühne ging und sicherlich in der Spielpraxis des Landes eine gewisse Einmaligkeit besitzt, war alles andere als einfach und leicht vorzubereiten. Neun Monate mußten vergehen, ehe die Band alles auf der Bühne hatte. Es war sozusagen eine schwere Geburt. In den neun Monaten wurde allein nur an Material verarbeitet: 300 m Rohr- und Vierkantstahl, 700 m Kabel, 65 m Stahlseil, 97 qm bemalte Leinwand, 30 qm Vorhangstoff sowie 16 Treppenstufen. Die Anzahl der Scheinwerfer mußte von 36 auf 90 erweitert werden. Und wer sich nicht vorstellen kann, welche Mühen, Probleme und Nervereien Formel 1 in der Vorbereitungsphase hatte, der sollte unbedingt den folgenden Bericht, den der Trommler und Spiritus rector der ganzen Unternehmung "Die Burg", Peter Fincke, tagebuchartig zusammengetragen hat, lesen. AUGUST 1986: Die Show "Der Weg nach oben" läuft jetzt zwei Jahre, das Programm spielt man fast schon im Schlaf, es fehlt eine neue Motivation. Wir sind nicht müde, sondern geradezu "gierig" auf etwas Neues. Was hat unsere "Höhle" (das alte Bühnenbild) gebracht? Ein neues Outfit, viele Diskussionen, Lob und Tadel, Heuchelei und Bewunderung seitens der Musikerkollegen. Für die Band ein Schritt nach oben!? Viele starke Gig's, neue Titel, endlich den ersten Longplayer, viele neue Freunde, viel Arbeit für unsere Roadcrew. Auf jeden Fall ging es vorwärts. SEPTEMBER 1986: Wir sitzen nach dem TV-Mugge ("rund" war es, wie immer!) in einem unserer gastlichen Wirtshäuser und feiern meinen 100. Geburtstag, reden über neue Ideen. Ich habe mir etwas ausgedacht, lasse von einem Konstrukteur schon neue Lichttraversen entwerfen... Für die Anderen werden die üblichen Aufgaben verteilt, Wolle und Detlef bereiten die Proben vor, die Techniker Frank Steger, Uwe Günsch, Karsten Hotzler und Armin Domachowski schlagen sich wie immer mit den Licht- und Tonproblemen 'rum, und unser Meister Norbert organisiert alles, schreibt fleißig an Texten für ein neues Programm. NOVEMBER 1986: Die Idee ist endlich geboren! Alle sind begeistert, Formel 1 versetzt sich optisch ins Mittelalter - "der Weg nach oben" ist zeitlich also immer noch nicht beendet, laßt uns Burgen bauen. Thomas Wilke, unser Grafiker, wird informiert und soll Entwürfe anfertigen, über die wir dann gemeinsam entscheiden wollen. Seine Augen strahlen, er setzt sich sofort an den Zeichentisch. Thomas arbeitet schon seit einigen Jahren mit uns zusammen, fährt voll auf HM ab. Er hat unser Plattencover entworfen und anderes für uns gemacht. Wir haben ihn in Kuschkow ausgegraben. DEZEMBER 1986: Der Konstrukteur der Traversen hat sich gemeldet, legt den ersten Entwurf vor. Einstimmige Meinung - abgelehnt, weil zu schwer, zu groß, nicht zu transportieren... Die ersten Proben für die neuen Songs laufen, Wolle hat sich tolle Riffs ausgedacht. Für unsere Proben konnten wir in Berlin-Wartenberg für ein halbes Jahr ein Haus mieten. Musikalisch geht es langsam vorwarts, und wir warten darauf, was uns das neue Jahr bringt. JANUAR 1987: Etwas Erfreuliches ist passiert. Unsere LP lag bei vielen Leuten unter dem Weihnachtsbaum: DANKE. Jetzt wird wenig getourt und acht Wochen lang fast jeden Tag geprobt. Wir hören viel Musik, wollen in unseren Stil neue Einflüsse einbringen. Die ersten Entwürfe für das neue Bühnenbild sind ebenfalls angekommen. Wir diskutieren und entscheiden uns. Problem: die enormen Materialmengen! Aber auch der Umgang mit den Handwerkern wirft wie immer Probleme auf. Vorerst bleiben wir frohen Mutes. FEBRUAR 1987: Fast jeden Tag verbringen wir im Probenhaus. Ab und zu ein Gig, der uns dann immer aus dem Tritt bringt. Norbert gehen langsam die Themen für die Texte aus, aber er gibt nicht auf. MÄRZ 1987: In diesem Monat sollte alles stehen, aber daran ist überhaupt nicht zu denken. Es gab Schwierigkeiten mit dem Material, den Handwerkern und den Finanzen. Am 12. in Lübben spielen wir zum ersten mal Titel aus dem neuen Programm. Die Fans hören aufmerksam zu, geben wertvolle Hinweise, und wir wissen, was noch geändert werden muß. Detlef und Wolle setzen sich sofort zusammen, und die Proben gehen noch intensiver weiter. APRIL 1987: Am 7. war der eigentliche Premierentermin, doch wir konnten ihn nicht halten. Das Bühnenbild ist fertig, wir sind sehr zufrieden. Bald müssen die Lichttraversen stehen, und wir können am Monatsende in Hennickendorf alles hochziehen, die Innenaufbauten (Treppen und Laufstege) zusammenbauen. Da ereilt uns ein schwerer Schlag. Ein Konstruktionsfehler haut alles um, ein Drittel der Scheinwerfer ist total hin, und wir liegen alle im wahrsten Sinne des Wortes am Boden. MAI 1987: Ein Ruck ging durch die Band! Alles hat "geackert" und die Zähne zusammengebissen. Die Roadies haben fast rund um die Uhr gearbeitet, Fehler beseitigt, Aufbauten überarbeitet und die Lichtanlage neu konzipiert. Wir Musiker sind nun endlich mit dem Programm fertig und beschließen, daß die neue Show in der LanghansstreBe zum ersten Mal über die Bühne gehen soll, nach dem wir dort drei Tage lang alles bis aufs letzte durchchecken. Und endlich - alles steht alles spielt, alles o.k.! Die Premiere der Show kann starten! Aber ein weiteres Problem stellt sich nun für die Band. Sollte die bisher investierte Arbeit nicht umsonst gewesen sein, müßten einige Veranstalter mehr gefunden werden, die es der Gruppe ermöglichen und sie darin unterstützen, das neue Bühnenbild und damit die gesamte neue Konzeption auf einer Bühne voll zur Wirkung zu bringen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß Aufwand und Nutzen so in keinem Verhältnis stehen. Viele Jugendklubs sind einfach viel zu klein, um dort die Bühne aufzubauen. Andererseits schreckt doch so mancher Leiter eines großen Kulturhauses davor zurück, einer Metalband diese günstige Spielstätte zur Verfügung zu stellen. Liegen hier wirklich entsprechend schlechte Erfahrungen vor, oder ist die Ablehnung eigentlich mehr ein allgemeines Vorurteil auf der Basis von Gerüchten? Eine auswegreiche Variante bieten da sicherlich in den Sommermonaten, vom Wetter einmal abgesehen, die Open-Air-Konzerte auf diversen Freilichtbühnen. An und für sich eine ideale Sache, nur lassen viele Veranstalter aus Sicherheits- undd anderen Gründen diese Konzerte bereits um 16.00 Uhr beginnen, so daß um dieese Zeit eine wirkungsvolle Lichtshow schlechterdings unmöglich ist. Eine Situation, die dem guten Vorsatz der Gruppe, ihrem Publikum nicht nur musikalisch etwas zu bieten, sondern ein auch optisch durchdachtes Gesamtkonzept anzubieten, einfach im Wege steht. (von E. Leo Gehl & Peter Fincke) |